Einen Cliffhänger vom Abgrund entfernt. Rede von Nicole Mosleh bei der Verleihung des Deutschen Drehbuchpreises 2022
Gute Geschichten haben nicht unbedingt eine Antwort auf die dringenden Herausforderungen und Schwierigkeiten der Welt. Aber sie machen etwas, was viel wertvoller ist: Sie werfen Fragen auf.
Wir veröffentlichen hier die Rede von VDD-Vorstand Nicole Mosleh, die sie im Rahmen der Verleihung des Deutschen Drehbuchpreises am 05.07.2022 in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz gehalten hat.
Wie finden wir uns zurecht, in dem Chaos einer Welt, die immer unübersichtlicher wird? Wie gehen wir mit den schier unüberwindbaren Problemen um, mit denen wir uns jetzt konfrontiert sehen. Probleme in unserer Gesellschaft, deren Auswirkungen mittlerweile weit in unser privates Leben hinein reichen. Was machen wir bloß, wenn wir vor lauter Problemen nicht mehr weiter wissen?
Und vor allem: was machen diese Probleme mit uns? Wie kommen wir da durch und bleiben trotzdem Mensch? Was ist das überhaupt: Mensch-Sein, in herausfordernden Zeiten wie diesen. Ist das noch irgendwas anderes, als die Angst in der Magengrube, dass wir letztlich mit allem allein sind, auf der Welt und das alles vergeblich war?
Bilder: auf der Bühne Moderatorin Nicole Mosleh, (c) VDD, Fotos: André Hercher
Fragen, die in der ein oder anderen Form auch im Zentrum der drei nominierten Drehbücher stehen, deren Autorinnen und Autoren wir heute Abend hier feiern wollen. Fragen, die der Schlüssel sind, um einigermaßen heil durch Zeiten wie diese durchzukommen. Was haben wir für Zeiten hinter uns!
Als Filmschaffende im Speziellen, aber auch als Gesellschaft im Besonderen dachten wir schon ein paarmal, wir sind jetzt mit der Geschichte am Ende. Und dann war’s doch nur ein Cliffhanger und wir sind mit dem Ukraine-Krieg und der Rezession in die nächste Folge gestartet. Und wer weiß, was der Staffelbogen noch alles an unerwarteten Wendungen bereithält.
Drehbuchautorinnen und -autoren haben vielleicht nicht die Lösung für all die Probleme haben, aber wir spiegeln die Welt wie sie ist und manchmal auch, wie sie sein könnte. Wir tun das auf liebevolle, kreative, manchmal radikale und ja, auch mal eskapistische Weise. Und wir erzählen, wie es trotz allem weitergehen kann.
Realität ist in der Fiktion leichter zu ertragen. Und vor allem ist die Fiktion manchmal, in besonders gelungenen Momenten, näher an der Wahrheit dran, als es die Realität jemals sein könnte.
Liebe Claudia Roth – es gibt so unglaublich viel zu tun. Wo wollen wir nur anfangen? Sie haben ja gesagt, sie wollen nicht zwischen Hoch- und Subkultur unterscheiden. Das trifft sich gut – wir Drehbuchautorinnen und -autoren sind uns auch nie sicher, wo wir denn eigentlich dazu gehören.
Wir selbst empfinden unsere Arbeit als hochkulturell, aber sobald man fürs Kino schreibt, dann fühlt sich das Honorar auch sehr schnell nach Subkultur an, eine Stufe vor dem Kellnern. Und ja, dann fällt auch schon mal der sehnsüchtige Blick zur Seite, wenn der Filmhund mehr verdient als wir, die wir uns seine Geschichte und die Welt, in der sie spielt, ausgedacht und in unzähligen Fassungen überarbeitet haben.
Ja, es stimmt - einigen von uns geht es jetzt richtig gut. Die sind Showrunner und Creator und haben sogar ihren eigenen Trailer am Set. Die sind wirklich privilegiert. Wenn die ausgetauscht werden und plötzlich nicht mehr schreiben und sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können, dann haben sie wenigstens einen Wohnwagen, in dem sie bleiben können.
Christian Bräuer von der AG Kino vermisste in einem Interview der Berliner Zeitung letzte Woche originelle, kreative und vielfältige Stoffe. Wenn Sie uns fragen, dann gibt es da so manches, was diese Stoffe verhindert. Zum Beispiel die vielleicht komplexeste und föderal-kleinteiligste Förderlandschaft der Welt, die es solchen Geschichten nicht leicht macht, sich durchzusetzen.
Dass es Filmförderung gibt und damit auch Drehbuchförderung, ist eine großartige, kulturelle Errungenschaft. Aber das, was wir am Besten können, ist Schreiben. Damit meine ich jetzt nicht zahlreiche, komplexe Anträge auf Drehbuchförderung, die wir am Ende nicht einmal ohne die unterschriebene Absichtserklärung eines Produzenten einreichen können, sondern Drehbücher!
Drehbücher, die die Kraft und die Wucht haben, ein großes Publikum ins Kino zu locken, entstehen nicht von allein. Und vor allem entstehen sie in einem langen Prozess mit unzähligen Fassungen, in dem sie dann die Kraft und die Wucht entwickeln können, ein großes Publikum ins Kino zu locken.
Um diesen Weg gehen zu können, wünschen wir uns, dass der bislang recht zurückhaltende Anteil der Drehbuchförderung am Gesamtvolumen der Fördersumme erhöht wird. Denn ohne ein großartiges Drehbuch, wird es keine solch starken Film geben, Filme, wie wir alle sie uns wünschen.
Kino schafft mit seinen Bildern und Tönen, die wir gemeinsam mit Fremden in einem abgedunkelten Raum erleben, kollektive, emotionale Reisen. Und damit ist es nicht nur für die erwachende Sexualität von Teenagern systemrelevant.
Und damit das Kino die Bücher kriegt, die es braucht, um das Publikum vom heimischen Sessel, zurück in die großen Säle zu locken, Bücher mit einer großen emotionalen Wucht, braucht es im großen Strukturladen Filmförderung Buchhalter und Juristen und mehr Punk! Wie gut, dass wir da jetzt eine Fachfrau haben, liebe Claudia Roth!
Und dann wäre da noch die Reform des Medienstaatsvertrages. Viele feiern eine Reform des Öffentlich Rechtlichen Rundfunks. Und ja – sie ist dringend notwendig und auch wir können es nicht abwarten. Schließlich ist der chronische Geldmangel beim reichsten Fernsehen der Welt zwar ein schönes Paradox, aber leider kein nachhaltiges Zukunftsmodell.
Und eine richtige Reform wird hoffentlich vor allem an der Struktur sparen und nicht im Programm. Denn das Programm ist doch das Herz, der Auslöser dafür, dass der Öffentlich Rechtliche Rundfunk überhaupt ins Leben gerufen wurde.
Lieber Öffentlich Rechtlicher Rundfunk – lass dich von uns retten! Wir lieben dich! Und wir haben vor allem das Zeug dazu, um dich zu retten. Gute Geschichten, die Menschen aufwühlen, berühren, sie unterhalten und die sie wieder zu dir zurück bringen! Das ist der Stoff, der durch unsere Adern fließt.
Originäre Geschichten! Jeder will sie. Und wir haben Sie! Lasst sie uns für euch schreiben, ohne dass sie im langwierigen, angstbehafteten Verlauf der Stoffentwicklung wieder zersägt und glattgebügelt werden.
Und wir schrecken auch nicht vor schweren Zeiten zurück. Wir sind schließlich leidensfähig. Das beweisen wir mit jeder neuen Fassung, die wir nach unzähligen Drehbuchbesprechungen und oft widersprüchlichen Anmerkungen unserer Auftraggeber, abliefern.
Und neben originellen Geschichten sind wir auch mit den klassischen Erzählmustern bestens vertraut. Der harte Weg zum Happy End führt fast immer durch Finsternis, Untergang und Tod. Das schreckt uns alles nicht, da blühen wir auf. Da fangen wir überhaupt erst richtig an zu leben!
Und wir sind geübt darin, wenn unsere Protagonistinnen und Protagonisten mit Rücken zur Wand stehen und nicht mehr weiter wissen. Es gehört zu unseren Kernaufgaben dann einen Weg aus dem Schlamassel heraus zu finden.
Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen!
Nicole Mosleh
Herzlichen Dank an Vorstand Nicole Mosleh für die Rede und die tolle Moderation der Preisverleihung und herzlichen Dank an dieser Stelle auch an Vorstand Christian Lex, der die Umarbeitung einer ursprünglich geplanten Doppel- hin zu einer Solo-Moderation aus der unfreiwilligen Quarantäne heraus kollegial und mit unerschütterlicher Ausdauer unterstützt hat.