23. Mai 2017
Aufruf 
 

Appell der europäischen Filmemacher für eine zukunftssichere Digitalpolitik

Autor: VDD

Festival de Cannes, 22. Mai 2017

Filmemacher aus ganz Europa fordern eine gemeinsame Anstrengung von Politik, Bürgern und Filmemachern, um den Herausforderungen der Digitalisierung zu begegenen, die Zukunft der Filmkunst zu sichern und die Grundlagen für Demokratie und kulturelle Vielfalt zu erhalten.

Zu den Erstunterzeichnern zählen u. a. aus dem deutschsprachigen Raum Fatih Akin, Michael Haneke, Wim Wenders, Volker Schlöndorff sowie Fred Breinersdorfer und Jochen Greve, beide engagiert in VDD sowie SAA.

Im Folgenden finden Sie den Wortlaut des Appels in deutscher Übersetzung. Die internationalen Fassungen sowie eine vollständige Liste der Erstunterzeichner finden Sie im Anhang

APPELL DER EUROPÄISCHEN FILMEMACHER

Liebe Bürger und Filmemacher Europas,

wir leben im Zentrum eines Europas, auf dem große Hoffnungen ruhen, wenn es gelingt, den Werten der Toleranz, Offenheit und Vielfalt treu zu bleiben und sich gegen aufkommende nationalistische, bildungsfeindliche Abschottungstendenzen zu verteidigen. Da das europäische Kino der Spiegel dieser positiven Werte ist, sind wir der Überzeugung, dass es zu einer ehrgeizigen, neuen Form der europäischen Kulturpolitik beitragen kann und muss. Die europäische Kultur ist weit mehr als ein Beschäftigungsbecken, ein Zusammenschluss von Staatsgebieten oder ein Nebeneinander von Märkten und Verbrauchern, denn sie steht auch für diese unzähligen Identitäten und eine freie und demokratische Ausdrucksform.

Zwar haben sich in der Vergangenheit die Wege Europas und der Filmkunst manchmal getrennt, doch genauso bot sich ihnen über die Jahre immer wieder die Gelegenheit zur Annäherung. Dies trifft vor allem zu auf die 25 Jahre, in denen die filmschaffende und -verbreitenden Kunst in Europa bereits durch das Programm MEDIA begleitet wurde, dessen Budgetausstattung verstärkt und Wirkungsfeld erweitert werden muss, vor allem in Richtung der Autoren.

Der Zugang aller zu Kultur ist ein absolut modernes, wirtschaftlich starkes, politisch ehrgeiziges Ideal und dank digitaler Tools technisch lebensfähige und von Grund auf menschlich. Das neue digitale Umfeld lacht uns verlockend und mit zahlreichen Versprechen und Hoffnungen an. Aber es hält auch viele Herausforderungen für die Kulturschaffenden bereit.

Unter diesen muss die Finanzierung und Entwicklung des europäischen Films für uns Vorrang haben.

Mehr denn je kommt es auf die Wahrung der Territorialität der Rechte an: Sie strukturiert und garantiert das hohe Niveau der Finanzierung für Werke in Europa, besonders bei den anfälligsten Filmkünsten und bei europäischen Koproduktionen. Dieses Prinzip muss gesichert werden, um die Exklusivität der Rechte und so die Grundlage der Finanzierung der Werke zu gewährleisten. Denn genau diese Territorialität ermöglicht den Zuschauern den Zugang zu den unterschiedlichsten, europaweit finanzierten Werken. Vom gemeinsamen europäischen Markt zu träumen, mag verlockend sein, aber derzeit würde ein solches Vorhaben den 6 Grundlagen der kulturellen Vielfalt und Besonderheit schaden.

Das Recht für Autoren, von ihrer Kunst leben zu können, muss ebenfalls gefestigt und ausgebaut werden, damit sie weiter ihrer kreativen Arbeit nachgehen können.

Das Europäische Parlament und der Rat beraten derzeit über einen Richtlinienentwurf zum Urheberrecht. Die Europäische Union muss allen Filmemachern auf ihrem Staatsgebiet denselben Schutz zukommen lassen und ihnen ein unveräußerliches Recht auf Vergütung zugestehen, wenn ihre Werke auf Online-Plattformen genutzt werden.

Darüber hinaus hat sie die Transparenz und erfolgsabhängige Vergütung der Urheber zu fördern.

Die Integration der Internetriesen in die europäische Kreativwirtschaft ist entscheidend für die Zukunft der Filmkunst.

Europa muss das Ziel vorgeben und die Bedingungen für einen gerechteren und dauerhafteren Wettbewerb zwischen all jenen, die unsere Werke verbreiten, festlegen. Es muss das Prinzip der steuerlichen Gleichbehandlung gewährleisten und gegenüber den Kunstschaffenden gemachte Zusagen zur Finanzierung und Verbreitung rasch und ohne Umwege umsetzen. Und schließlich muss Europa für eine bessere Ausgewogenheit zwischen dem Ort der Besteuerung und dem Ort der Verbreitung der Werke sorgen, wie es bereits für die Umsatzsteuer der Fall ist.

Europa ist kein neuer Wilder Westen, ohne Glauben und Moral: Es muss auf die Anwendung derselben Regeln für alle Anbieter, Plattformen, Websites oder sozialen Netzwerke geachtet werden.

In Zeiten, in denen die Produktpiraterie noch immer eine Plage ist und das legale Angebot die Zuschauer nur mühsam erreicht, ist es zudem nötig, eine bessere Präsentation der Werke auf allen Trägern zu fördern.

Die Entwicklung von Referenztools für legal zugängliche Filme muss beschleunigt werden, und ebenso müssen die Zusammenarbeit zwischen Mitgliedsstaaten und konzertierte gemeinsame Aktionen unterstützt werden.

Jeder Autor hofft vor allem, sein Werk dem größtmöglichen Publikum zugänglich machen zu können: Die Gewährleistung einer umfassenden Präsentation in Kinosälen, auf TV-Kanälen, in digitaler Form und auf allen On-Demand-Diensten hat Priorität.

Es geht dabei auch darum, neuen Zuschauererwartungen gerecht zu werden. Die in dieser Sparte Tätigen sind aufgefordert, in diese Richtung gehende Anstrengungen zu unternehmen. Auch die europäischen Institutionen müssen eine gewisse Mindestpräsenz und -förderung der europäischen Werke auf den On-Demand-Diensten garantieren und ein hilfreiches Band zwischen digitaler Welt und Kunst knüpfen, ohne dabei die kulturelle Vielfalt zu gefährden.

Die Herausforderung ist enorm, birgt aber riesige Chancen: Nämlich die, - politische Akteure, Kunstschaffende und Bürger - zu einen, um neu zu überlegen und eine anspruchsvolle, ehrgeizige Kulturpolitik zu entwickeln, die sich an die digitale Welt, ihre Wirtschaft und Bräuche anpasst und Kunstschaffende ins Zentrum ihres Handels stellt.