Das Gleichnis von der gelben Hose. Ein Plädoyer für einen fairen Film von Carolin Otto
Der folgende Text wurde zuerst veröffentlicht in der aktuellen dritten Ausgabe des IU Mag, des Magazins der Initiative Urheberrecht, mit dem Schwerpunkt Film + TV von Juni 2022. Wir danken Carolin Otto und der Ini für die Genehmigung der Zugänglichmachung an dieser Stelle.
Die vollständige Ausgabe des IU Mag #3 u. a. auch mit einem Beiträgen von VDD-Justiziar Dr. Oliver Schwenzer, Jobst Oetzmann (VDD/BVR), Fred Breinersdorfer (VDD), Kameramann Jost Vacano und vielem mehr finden Sie hier.
Vom Dilemma des Drehbuchschreibens zwischen Kunst und Auftrag
Es war einmal eine Schneiderin. Die hatte eine wunderschöne, leuchtend goldgelbe Hose aus fließendem, üppigem Stoff gefertigt. Die Hose hatte leicht ausgestellte Beine und tiefe Taschen, in die man seitlich bequem hineinfassen konnte. Das Licht lud die Fasern geradezu mit Energie auf, eine Hose, die ihre Trägerin glücklich wie eine Sonnenblume machte. Manchmal verirrte sich eine Biene auf den Stoff, die vergeblich nach Blütenstaub suchte und die Schneiderin musste lächelnd das Fenster öffnen und die Hose vorsichtig ausschütteln, um die Biene in die Freiheit zu entlassen. Kurz: die Schneiderin war sehr zufrieden mit ihrem Werk.
Eines Tages kam eine Kundin in die Schneiderei. Was für eine schöne Hose! Und dieses Gelb! Schwupps – steckte die Kundin schon in der Hose. Und die Hose stand ihr. Doch dann stellte die Kundin kritisch fest, dass sie doch gern Schlaufen für einen Gürtel und ein paar Abnäher hätte zwecks besserem Sitz. Auch seien die Hosenbeine zu lang, die trage man derzeit kürzer und die Taschen trügen an den Oberschenkeln auf, besser wäre es, sie wegzuschneiden.
Den Anmerkungen der Schneiderin, das Abnähen und Kürzen werde wohl gehen, die anderen Wünsche aber widersprächen stilistisch dem charakteristischen Design der Hose und wären passtechnisch eine Verschlechterung, mochte die Kundin nicht folgen. Immer weiter gingen ihre Änderungswünsche und die Schneiderin, die einmal zu ändern angefangen hatte und nun dem eigenen Instinkt für ihre Kreation nicht mehr trauen konnte, wollte die Kundin zufriedenstellen.
Schließlich blieb – schnippschnippschnapp – von der Hose ein Paar gerade die Arschbacken bedeckender Hotpants, welche der Kundin überhaupt nicht standen. Denn jetzt sah man wirklich zuviel Oberschenkel im weitesten Sinn. Angewidert betrachtete sich die Kundin im Spiegel. Was für ein schreckliches, missratenes Kleidungsstück! Die Schneiderin sei doch eine sehr schlechte Schneiderin! Aber eigentlich hatte die Kundin ja sowieso einen roten Rock und nicht eine gelbe Hose gewollt… Wütend verließ die enttäuschte Kundin die Schneiderei und kam nie wieder.
Die Schneiderin aber saß da und weinte.
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Als Drehbuchautorin bin ich – wie die Schneiderin – eine Hybridin. Ich bin sowohl Künstlerin, als auch Auftragnehmerin. Das ist ein großes Dilemma. Da ich meist meine Stoffe bis zu einer gewissen Präsentationsreife entwickele und dann erst anbiete, beginne ich fast immer als reine Künstlerin. Bei reinen Auftragsproduktionen ist das Verhältnis von Künstlerin zu Auftragnehmerin von Beginn an anders.
Bei der unabhängigen Anbietung funktioniert es so: Zunächst gibt es die Idee, die ich irgendwo wie einen Schmetterling einfange und in der ich eine Geschichte ahne. Die Idee beflügelt und setzt den Mechanismus des Denkens und Erfindens in Gang. Wenn die kreative Erregung länger als ein paar Tage anhält, verbirgt sich meist tatsächlich eine tragfähige Erzählung darin. Wenn das so ist, haben sich zwischenzeitlich schon einige der handelnden Figuren samt ihrer Begehren an meinem inneren Schreibtisch präsentiert. Die Idee nimmt Gestalt an, ich kann das Gerippe weiter anfüllen und bearbeiten. Ich muss in Handlung, Anfang, Mitte, Ende denken und diesen vorläufigen Bogen zumindest grob aufschreiben. Denn Film ist schließlich immer Handlung.
Irgendwann bin ich bereit, meinen Text einer Vertrauensperson zu lesen zu geben. Der erste Test in der Außenwelt, ob die Idee besteht, außerhalb meines Kopfes und Schreibtisches. Bis zu diesem Zeitpunkt bin ich allein mit meiner Idee und dem Prozess. Idee, Prozess und ich befinden sich in einem beglückenden Dreiecksverhältnis, in dem ich allein entscheide, was wichtig und unwichtig, gut oder schlecht, berührend, spannend, erzählenswert ist. Auch nach dem Lesen der Vertrauensperson ist diese Blase noch nicht vollständig geplatzt. Ich suche mir natürlich eine Vertrauensperson, von der ich annehme, dass sie grundsätzlich etwas mit meiner Geschichte anfangen kann. Die meine Vision theoretisch nachvollziehen kann und deren Kritik mir helfen wird. Ich habe nichts davon, wenn ich einen Film über häusliche Gewalt entwickelt habe und das Papier jemand zu lesen gebe, der auf Car-Crash-Filme steht.
Noch bin ich also auf der Suche nach der Optimierung des Werkes innerhalb meines Kosmos. Danach habe ich schließlich ein Papier, unterschiedlich lang und unterschiedlich gestaltet, je nach Thema des Films, Form (Serie oder Film) und Zweck (für Produzenten, Förderung oder TV-Sender/Streamer). Ein Verkaufspapier, das Hunger auf mehr machen muss. Die Künstlerin ist zu diesem Zeitpunkt zufrieden mit ihrem Schaffen und stolz auf ihr Werk. Bis dahin: Kein wirkliches Problem, aber auch kein Geld. Als Künstlerin gehe ich in Vorleistung und trage damit auch ein produzentisches Risiko, denn ich finanziere alles vor.
Ab jetzt bin ich auf Partnersuche: Produktion, Redaktion, Regie – Film ist Teamwork. Der Kreis derjenigen, die an meinem Werk mitwirken wollen bzw. qua Investition dürfen, vergrößert sich im Zuge seiner Gestaltwerdung unaufhörlich. Und je näher ich meinem idealen Ziel komme – nämlich, dass aus meinem Drehbuch ein Film wird, es sich damit verpuppt, verwandelt und im fertigen Film untertaucht – um so mehr werden es. Das macht die Sache kompliziert, viele der Mitwirkenden haben andere Ideen als ich. Sie sehen von Anfang an in meinem Drehbuch einen ganz anderen Film als ich, das ist normal, denn das Drehbuch ist „nur“ der Konstruktionsplan zu einem Film. Worte müssen Bilder ersetzen und in den Köpfen der Leser:innen den späteren Film projizieren. Aus einem einzigen Drehbuch entstehen so viele Filme, wie es Leser:innen gibt. In jedem Kopf gibt es ein Kino. Die Arbeit mit der Produktion kann wunderbar sein, wenn man auf die richtige Person gestoßen ist und mit einer möglichst ähnlichen Vision auf den Stoff einig über dessen Entwicklung ist. In dieser Phase ist die Produzent:in die erste Verbündete und alles könnte schön werden.
Wenn da nicht Geld, Rechteübertragung und Machtgefälle wären, die bis jetzt keine Rolle zu spielen schienen. Aber mit Vertragsabschluss kommt all das auf den Tisch, schwarz auf weiß werden die Verhältnisse klargestellt und fixiert. Mit Annahme von Geld ist meist die sofortige Übertragung der Rechte verbunden, Rechte sind das Gold, aus denen Leo Kirch sein Imperium geformt hat und Netflix es heute tut. Es sei denn, man einigt sich auf eine Option, mit der aber gleich viel weniger Geld verbunden ist und die nicht alle Produktionen akzeptieren. Auch bei einer Option findet nur eine Verschiebung des kritischen Zeitpunkts „Vertragsschluss“ statt. Irgendwo in dieser Zone liegt auch ein Schalter, der die Künstlerin auf ihre Rolle als Auftragnehmerin reduziert. So, als dürften Künstler kein Geld verdienen, einfach, weil es so viel Spaß macht, den künstlerischen Prozess zu erleben und etwas zu produzieren, dass die Künstler im Grunde gerechterweise dafür bezahlen müssten, dass sie tun, was sie tun. Der Rechtetransfer ist dabei fast noch schlimmer. Denn für den Fall, dass irgendwas schief geht – was immer passieren kann -, hat man alles verloren, Drehbuch, Job, Geld. Mit der Annahme von Geld ist auch verbunden, dass ab jetzt Weisungen erteilt werden können, die die mutierte Künstlerin umzusetzen hat.
Hier beginnt etwas, was ich die „Architektenphase“ nenne. Ich habe gerade ein wirklich schönes Haus erdacht und skizziert, bin hoch zufrieden mit meinem Entwurf, aber ich habe ja einen Bauherrn oder Bauherrin, die für ihr Geld etwas haben wollen, was ihnen gefällt. Sie haben mich als Architektin ausgesucht, weil ihnen meine bisherigen Arbeiten gefallen haben. Nun aber soll ich bitte so denken wie sie. Zügig betreten wir, nachdem die wichtigen grundsätzlichen Benutzerwünsche geklärt sind, vermintes Geschmacksgelände. Möglicherweise gefallen ihnen gekieste Vorgärten oder geblümte Volantgardinen, obwohl so etwas in meinen Häusern verboten ist. Doch in ihren Augen passt das, und gern wollen sie Messingtürklinken und einen Ethanolkamin. Ich versuche zu diskutieren, Alternativvorschläge zu machen, eventuell könnte man doch Blumen nehmen und schlichte Vorhänge, aber all das führt nicht dazu, dass sie mich als kompetent empfinden, sondern als störrisch. Schwierig. Meine Kompetenz wird nicht anerkannt, sondern es wird erwartet, dass ich sie auch noch freudig bei ihrer Auswahl von Scheußlichkeiten berate und sie bestätige, wie hervorragend diese sind, geradezu als seien es meine Ideen gewesen, die mir Amateurin aber allein nicht in den Sinn gekommen sind.
Zu Beginn der Arbeit wird die Drehbuchautorin/Künstlerin von Produktion und Redaktion gelobt, wie besonders, aufregend und wie fantastisch geschrieben der Entwurf sei, den man nun gemeinsam auf den Weg zu einem Film bringen will. Ein Meilenstein, unbedingt muss genau das in dieser tollen Form gemacht werden! Dieser Frühling der Zusammenarbeit weicht den Mühen der Ebene, und im Laufe der weiteren Zusammenarbeit finden sie oft, dass die Künstlerin nicht leistet, was Redaktion und Produktion sich unter ihrer Idee, Vision und Geschichte vorgestellt hatten. Sie finden nicht wieder, was sie der Künstlerin unterstellt hatten.
Vision, Expertise und Handwerk der Erfinderin und Künstlerin zählen nicht mehr. Ängste und Unwissen dominieren die Gespräche. Irgendwann wird der Schalter ganz umgelegt und die Auswechslung findet statt. Dieser Wechsel verwandelt mich von der unabhängigen, schöpferischen Künstlerin, die geschätzt und gefragt wird, in eine weisungsgebundene Auftragnehmerin, die gefälligst ausführen soll, was (auch immer) warum (auch immer) von wem (auch immer) gefordert wird.
Und immer häufiger wollen sie die Auftragnehmerin, die die Künstlerin jetzt für sie geworden ist, durch einen schreibenden Dienstleister ersetzen. Der kann ja möglicherweise die Geschichte wieder „richtig“, also in ihrem Sinn zusammensetzen. Sie haben also Thema und Idee zu ihrer gemacht und die ursprüngliche Erzählweise, die sie zu Beginn so begeistert hatte, mittlerweile als verzichtbar erkannt. Es endet mit Standarderzählweisen und ebensolchen Filmen.
Also tauscht man die Drehbuchautorin aus, denn mittlerweile ist sie eine minderleistende Auftragnehmerin geworden und jeder oder jede, der oder die das Handwerk beherrscht, kann die Geschichte genauso gut oder besser erzählen. Falsch. Eine Geschichte lebt von der Erzählweise, dem Blickwinkel und Ansatz, von den Schwerpunkten. Ein Thema allein ist weder eine Geschichte, noch ein Film.
Ein Thema – zum Beispiel „häusliche Gewalt“ – lässt sich aus unterschiedlichsten Perspektiven erzählen. Aus der Perspektive einer Frau, die geschlagen wird, aus der Perspektive eines Kindes, das die Dynamik der Eltern erlebt. Aus der Sicht von PolizistInnen, die mit den entsprechenden Delikten befasst sind. Jeder Film wäre grundsätzlich anders. Und je nachdem, welche Autor:in die jeweilige Perspektive wie erzählt, werden sich unendliche weitere Differenzierungen ergeben. Manche Themen erfordern sehr viel Expertise, Recherche und Nachdenken, nicht nur über die Geschichte und Personen an sich, sondern auch über die Rezeption der Zuschauer:innen. Was rufe ich wodurch hervor? Was kann das Publikum antizipieren, was überrascht? An wen wende ich mich? Was lasse ich aus? Alle diese Überlegungen werden entscheidend durch diejenigen geprägt, die den Film schreiben. Durch die Drehbuchautor:innen. Und deren Geschick, eine Erzählweise zu finden, die individuell, angemessen und doch überraschend ist.
Also ist mit der Person, die das Thema dramatisiert, bereits eine Entscheidung für einen bestimmten Stil verbunden. Es gibt viele Drehbuchjobs, bei denen klare Linien vorgegeben sind. Wenn ich eine Folge einer bereits etablierten Serie schreibe, ist der Rahmen gesetzt. Ich schneidere aus einem ausgesuchten Stoff ein passendes Kleidungsstück auf einen vorgegebenen Körper. Die schöpferische Kreation der Künstlerin trifft auf stilistische Vorgaben und Konfektionsgrößen. Was aber, wenn ich jetzt mit meiner gelben Hose aus fließendem, leuchtendem Stoff ankomme? Die ich anbiete, wie sie ist und die jemand unbedingt haben möchte, sie zu Beginn grandios findet, um sie dann aber nicht nur anzupassen, sondern vollkommen zu zerlegen. Sie zu zerstören. Denn sie wird einfach nie ein roter Rock.
Es ist Teil meiner Profession als Drehbuchautorin, aus Ideen dramatische Geschichten werden zu lassen. Es gehört zu meiner schöpferischen Arbeit, diese Geschichten durch meinen Erzählstil, meine Haltung und mein Handwerk zu Werken zu formen, welche die Grundlage von Filmen sein werden.
Damit ich diese Leistung erbringen und daraus ein Film entstehen kann, bedarf es einer Partnerschaft mit den Produzent:innen. Ich brauche jemanden, der meine künstlerische Vorleistung und Kompetenz anerkennt. Die richtige Partnerschaft zeichnet sich insofern zunächst einmal durch Vertrauen in meine Arbeit und respektvollen Umgang miteinander aus. Dementsprechend erwarte ich Verträge, die mir die Beteiligung an kreativen Produktionsentscheidungen zusichern. Das Urheberrecht besagt darüber hinaus, dass ich angemessen und verhältnismäßig zu vergüten, an Gewinnen zu beteiligen und daher über diese zu beauskunften bin.
Zurück zur gelben Hose: Was sie von anderer Textiloberbekleidung unterscheidet, ist nicht das Material, die Farbe oder gar die Größe. Sondern das in ihr verdichtete Wissen um Ästhetik, Bedeutung, Stil, Funktionalität und kulturelle Distinktion. Kurz: Es ist die schöpferische Leistung, die den Unterschied macht und damit notwendigerweise die schöpferisch tätige Person. Diese schöpferisch tätige Person bedarf – wie ihr Werk - des Schutzes, um auch in Zukunft leuchtend goldgelbe Hosen oder herausragende Filme ersinnen zu können.
Carolin Otto ist Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin. Sie ist langjähriges VDD-Mitglied, war lange Zeit im VDD-Vorstand und ist aktuell Beirätin des Vorstands für Internationale Angelegenheiten und vertritt den VDD in der IAWG und FSE. In dieser Funktion war sie u. a. Organisatorin für die Worldconference of Screenwriters (WCOS 04) in Berlin. Seit 2019 ist Sie Präsidentin der FSE, der europäischen Dachorganisation der Drehbuchverbände und wurde im Mai 2022 wiedergewählt.
Das IU Mag, das Magazin der Initiative Urheberrecht, richtet sich insbesondere und mit großer Resonanz als Informationsmedium an die Politik. Der Schwerpunkt Film + TV ist bereits die dritte Ausgabe. Der VDD ist Mitglied in der Initiative Urheberrecht, unserer zentralen Lobby-Organisation für urhebererrechtliche Themen.
Das Magazin zeigt laut Selbstbeschreibung der Ini auf, wie "(...)Urheber:innen zu Kultur und Wirtschaft beitragen. (...)Urheber:innen und ausübende Künstler:innen bereichern unsere Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft auf vielfältige Weise. Deshalb steht jedes einzelne IU Mag im Zeichen einer bestimmten Branche. Mit jeder Ausgabe lernen wir Akteure und Aktive kennen, beleuchten die spezifischen Herausforderungen der Branche – und entdecken die oft verschlungenen Wege vom Werk zum Wert. Lernen Sie das Urheberrecht neu kennen!"
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