Ein Pakt für das Außergewöhnliche. Das VDD-Panel beim Filmfest München baut eine Brücke zwischen Drehbuch und Kino
Rückblick auf das VDD-Panel beim Filmfest München zum Thema "Die Kinokrise und die DrehbuchautorInnen" mit den Gästen Sanne Kurz (MdL Bayern, Die Grünen), Carolin Otto (Drehbuchautorin, VDD, FSE-Vizepräsidentin), Thomas Negele (SPIO-Präsident), Christian Pfeil (Geschäftsführer Filmbetriebs GmbH München), Sebastian Andrae (Drehbuchautor, gf. Vorstand VDD), Moderation: Brigitte Drodtloff (Drehbuchautorin, Vorstand VDD).
Auf dem diesjährigen Panel des VDD beim Filmfest München unter dem Titel „Die Kinokrise und die DrehbuchautorInnen“ war zunächst wenig von Krise zu spüren. Vielmehr übertrug sich die sommerliche Atmosphäre der Stadt auf den gut besuchten Carl-Amery-Saal und die Diskutanten starteten in sonniger Laune in das brisante Thema.
Kinokrise als Krise der Stoffentwicklung?
VDD-Vorstand Brigitte Drodtloff gab als Moderatorin die Zielrichtung des Gesprächs vor, bei dem es um die zeitliche und kreative Kluft gehen sollte, die zwischen der Entwicklung des Drehbuchs als Anfang und Nukleus jeder Filmgeschichte und der Präsentation des fertigen Films im Kino als Endpunkt liegt. Dieser Leitfaden bestimmte dann auch die Diskussion, bei der es u. a. um die Fragen ging, wie Anfang und Ende neu zusammengedacht werden müssen und was auf dem Weg vom Schreiben des Drehbuchs bis zu dem Zeitpunkt passiert, wenn sich eine Filmgeschichte am Kinomarkt behaupten muss.
Zunächst teilten die Panelisten den Befund, dass sich der Kinomarkt aktuell in einer Krise befindet. Laut SPIO-Präsident Thomas Negele ist das eine Entwicklung, die sich seit 4 bis 5 Jahren spürbar abzeichnet, allein im Segment des deutschen Films gab es einen Besucherrückgang von zunächst pro Jahr über 35 auf jetzt 25 Mio. Besuchern. Hier geht es u. a. um die disruptive Marktwirkung durch Netflix. Kinos müssen sich an einem Nachfragemarkt behaupten, der dadurch gekennzeichnet ist, dass durch das wachsende Serienangebot das Zeitbudget der Kunden immer knapper wird. Das gilt auch für die Zeit der Autoren. Für Autoren muss es neue Anreize geben für das Kino zu schreiben und Kino als andere Art von Markt zu begreifen.
Dabei geht es aber auch darum, den besonderen Bedarf an guten Geschichten für das Kino anzuerkennen. Brigitte Drodtloff wies darauf hin, dass laut der aktuellen Kinobesucherstudie der FFA Geschichte und Thema mit über 31% die mit Abstand wichtigsten Entscheidungskriterien für einen Kinobesuch sind. Die Bedeutung der Arbeit der Autorinnen und Autoren lässt sich hieran deutlich ablesen.
Christian Pfeil sieht das Problem, dass zu viele Filme entstehen, insbesondere Coming-of-Age-Geschichten oder Debut-Filme, die in der Regel ruinös sind für Kinobetreiber, da es keine Nachfrage für sie gibt, zumal die Zielgruppen besonderer Filme für das Thema Coming-of-Age zu alt sind. Die Tendenz zu dieser Art Kinofilmen würde auch strukturell gefördert z. B. durch die FFG-Regelung, wonach nur die Autoren eine Drehbuchförderung direkt beantragen können, die nachweisen, dass zwei ihrer Bücher als Filme realisiert und im Kino herausgebracht worden sind – egal wie viele Zuschauer sie erreichen. Hier hat sich in Zusammenarbeit mit bestimmten Verleihern ein Fördersystem für Filmgeschichten etabliert, die keine Zuschauer finden, auch nicht im arthouse-Bereich.
Diskutierten auf dem VDD-Panel beim Filmfest München (v.l.n.r.): Moderatorin Brigitte Drodtloff, Thomas Negele, Sanne Kurz, Christian Pfeil, Carolin Otto, Sebastian Andrae, Foto: Simona Nistor
Weniger Autorenfilm, mehr Erzählkompetenz von Autorinnen und Autoren
Sanne Kurz fordert in diesem Zusammenhang ein grundsätzliches Umdenken bei der Ausgestaltung der Filmförderung. Ihrer Meinung nach werden viel zu stark Projekte gefördert, bei denen der Aspekt intrinsische Motivation der Beteiligten im Vordergrund steht und nicht der Aspekt der Marktorientierung und möglichen Refinanzierung. Auch sieht sie einen zu starken Einfluss der TV-Sender in den Gremien der Filmförderung, wodurch kinospezifische Geschichten und Erzählweisen verhindert werden.
Das Kino braucht nach Überzeugung von VDD-Vorstand Sebastian Andrae Geschichten, die in der Lage sind, Mundpropaganda und damit Kinobesuche auszulösen. Ein wesentliches strukturelles Problem des Deutschen Films ist, dass nach wie vor an der Idee des Autorenfilmers festgehalten wird. Damit einher geht die Missachtung der besonderen Erzählkompetenz der Autorinnen und Autoren. Um starke Geschichten zu ermöglichen, bedarf es mit Blick auf Förderung und Hochschulbildung endlich eine ausreichend differenzierende Sichtweise auf die Gewerke Drehbuch und Regie. Das Drehbuchschreiben für den Kinofilm muss als Profession in seiner Besonderheit angemessen berücksichtigt werden. Die jungen Autoren auf die Arbeit in der ersten Reihe mit entsprechenden Selbstvertrauen, die Autoren insgesamt mit mehr Einfluss auf ihr Werk auch im Produktionsprozess augestattet werden. Eine Position, die auch Christian Pfeil mit Nachdruck unterstützt.
Fotos: Simona Nistor
Wenn wir keine Geschichten aus Deutschland bekommen, müssen die Kinos zu Netflix gehen
Am Ende ist immer auch die Existenzsicherung der Autoren entscheidend, betont Carolin Otto. Dort, wo es reine Drehbuchförderung gibt, sollte diese als reiner Zuschuss für die Autoren durchgesetzt werden, den die Produktion nicht mit dem eigentlichen Drehbuchhonorar verrechnen dürfen. Es sei kein Wert an sich, für wenig Geld Drehbücher zu schreiben. Mit Blick auf die Situation in europäischen Nachbarländern ist zwar in Deutschland im Vergleich viel Geld vorhanden, aber es kommt dennoch zu wenig bei den Autoren an. Dies hängt auch mit der langen Finanzierungszeit im Kinobereich zusammen.
Thomas Negele sieht grundsätzlich die Notwendigkeit, mehr Geld für die Stoffentwicklung bereit zu stellen und auch Produzenten und die Kreativen an Kinorückflüssen ab dem ersten Euro zu beteiligen. Hierbei müssen aber auch die finanziellen Bedürfnisse der Verleiher mitberücksichtigt, der Verleih schwieriger Film stärker gefördert werden. Ein Ansatz könnte auch ein stärker gewinnorientiertes Fördersystem unter Einbindung von Private Equity sein. Die Antwort der SPIO auf die Kinokrise ist der Versuch, einen offene Branchen-Dialog zu initiieren, quasi eine „Deutschland AG“, für das Durchsetzen gemeinsamer Interessen aller Branchenteilnehmer zu bilden
Negeles Forderung an die Autorinnen und Autoren ist es, den Kinomarkt besser zu verstehen. Er wünscht sich mehr direkten Kontakt zwischen Autoren zu Kinobetreibern auch im Rahmen der Hochschulbildung. Geschichten müssen durch Außergewöhnliches kinorelevant werden. Nur über das Außergewöhnliche können auch Filme mit schwierigen Inhalten Zuschauer erreichen.
Die Kinos brauchen dringend gutes Produkt, also kinorelevante Geschichten, wie es Negele unternehmerisch und mit Nachdruck formuliert. „Wenn wir keine Geschichten aus Deutschland bekommen, müssen die Kinos zu Netflix gehen.“
Fotos: Simona Nistor
Notwendiger Wechsel von einer Kultur der Absicherung hin zu Kultur des Scheiterns
Die Suche nach relevanten Geschichten für das Kino muss dabei mit einschließen, dass man auch Nein sagen kann. Christian Pfeil wünscht sich daher eine Förderung, bei der die Entwicklung von Projekten, die erkennbar nicht funktionieren, abgebrochen werden kann, anstatt dass am Ende für viel Geld ein Film produziert wird, der kein Zuschauer-Potenzial hat.
Die Etablierung einer neuen Kultur des Try & Error ist auch für Sebastian Andrae überfällig. Es muss für Autoren die Möglichkeit geben, zu scheitern und aus den Gründen für das mögliche Scheitern inhaltlich und handwerklich zu lernen. Nur so kann es Fortschritt im Erzählen und damit in der Qualität geben. Mehr Mut zum Risiko schließt mit ein, dass Stoffe nicht von vorn herein durch Mitsprache Dritter verflacht werden, sondern Stoffentwicklung auch als notwendiger Experimentierraum verstanden wird.
Negele stellt in diesem Kontext gegenüber, dass in den USA jährlich über 10.000 Bücher, in Deutschland nur ca. 1.000- 1.500 Bücher für das Kino entwickelt werden.
Ein Writers Room für das Kino? Neue Ansätze für die Stoffentwicklung
Sanne Kurz kann sich vorstellen, Kinoförderung zukünftig nicht nur als Strukturförderung, sondern auch als inhaltliche Förderung zu gestalten. Umgekehrt lässt sich auch überlegen, ob nicht auch Kinobetreiber stärker in die Stoffentwicklung und Förderungsentscheidung einbezogen werden können. In diese Richtung zielt Brigitte Drodtloffs angeregt diskutierter Vorschlag, Förderzusagen in der Stoffentwicklung zukünftig auch mit LOIs von Kinobetreibern zu koppeln.
Thomas Negele hatte schon zu Beginn des Panels die Idee eines Writers Rooms bzw. Autorenpools skizziert, der finanziell so ausgestattet ist, dass er konstant Geschichten für das Kino entwickeln kann.
Fest steht: Kino-Geschichten mit dem Merkmal des Außergewöhnlichen werden stärker gesucht als zuvor. Unter den Kinobetreibern und Autorinnen und Autoren auf dem Panel gab es die Verabredung, einmal gemeinsam ein Konzept für die Stoffentwicklungsförderung zu erarbeiten. Ein neuer Pakt für das Außergewöhnliche? Die Gründung einer AG steht im Raum. Sanne Kurz versprach flankierende Unterstützung im Feld der Politik.
Unser herzlicher Dank für die angeregte Panel-Diskussion geht an die Gäste Sanne Kurz, Carolin Otto, Thomas Negele, Christian Pfeil und Sebastian Andrae sowie besonders an VDD-Vorstand Brigitte Drodtloff für Organisation und Moderation sowie an das Filmfest München für die freundliche Kooperation.
Jan Herchenröder
Zum Weiterlesen geht es hier zum Blickpunkt:Film-Artikel "Wir haben zu wenig Mut zum Scheitern!", vom 3. Juli 2019.