12. September 2018
 

Diese entschiedene Suche nach der besten Geschichte - Ein Nachruf auf Gunther Witte

Autor: Peter Henning 

Ein Nachruf auf den am 16. August 2018 verstorbenen, langjährigen WDR-Redakteur und TATORT-Erfinder

von Peter Henning, geschäftsführender Vorstand VDD

Die Franzosen lieben den Film. St.Tropez hat eine alte Polizeiwache in ein viel besuchtes Museum verwandelt, um die kulturelle Bedeutung der hier gedrehten Filme zu würdigen.

Es war vor allem der Film der Autoren, der hier gedreht wurde. Sie habe die Drehbücher geschrieben, Regie geführt und damit ihre Geschichten bis zum Ende kontrolliert. Die meisten Autorenfilmer waren zuerst einmal hervorragende Drehbuchautoren und Filmerzähler. Der Autorenfilm sollte zunächst einfach nur den Erzählern die Kontrolle über ihre Geschichte zurückgeben, die sie in der zunehmenden Kommerzialisierung des Studio-Kinos lange verloren hatten.

Es gab auch mal einen deutschen Autorenfilm, den das Publikum in Deutschland geliebt hat. Entgegen der Legende wurde er, wie übrigens auch in Frankreich, nicht ausschließlich von Regisseuren geschrieben. Eine gute Zeit für das Kino. Eine neue Generation Publikum wurde gewonnen, Filmförderungen wurden eingerichtet und hießen „kulturelle“ Filmförderung, Programkinos entstanden an jeder Ecke und das bis dahin eher biedere deutsche Nachkriegsfernsehen förderte und zeigte Autorenfilme.

Einer der großen Förderer war der jüngst verstorbene Gunther Witte. Er begann als Dramaturg und Redakteur und wurde dann Chefredakteur beim WDR in Köln. Er produzierte für den WDR „Berlin Alexanderplatz“ von RW Fassbinder und war beteiligt an „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von Volker Schlöndorf und Margarethe von Trotta, um nur einige zu nennen. (Drehbuch von Heinrich Böll, Volker Schlöndorf und Margarethe von Trotta nach dem Roman von H. Böll.)

Gunther Witte war keiner, der vergangene Erfolge oder Moden als Folie für sein Programm hernahm. Er war neugierig auf Filmerzähler und hat Trends gesetzt. Er war davon überzeugt, dass das mutige, auch polarisierende und besondere Fernsehen die bessere Antwort auf die Konkurrenz des Privatfernsehens ist als die Jagd nach der Quote mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Ausgerechnet diese entschiedene Suche nach der besten Geschichte hat der ARD das weitaus erfolgreichste und langlebigste Quotenprodukt, den Tatort, beschert.

Gunther Witte war neugierig, tolerant und entschieden. Wenn er einmal zugesagt hatte, konnte man sich darauf verlassen. Als Gebhard Henke und ich Ende der 80er Jahre mit dem phantastischen Computerspielabenteuer „Der Zauberkasten“ ankamen, gab er zu, dass er damit überhaupt nichts anfangen könne. Gerade deswegen und weil er unserem Enthusiasmus vertraute, hat er den Film zugelassen und sich am Ende gefreut, dass er den Film mochte und endlich verstanden hatte. Damals wussten viele noch nicht, was eine Maus mit einem Computer zu tun hat.

Es waren Neugier, Mut, Liebe zum kreativen Abenteuer, ein großes emotionales Verständnis von Dramaturgie und seine herzliche Offenheit, die ihn, der die Oper leidenschaftlich liebte, zu einem ganz großen der deutschen Fernsehgeschichte gemacht haben.

Beide, der Autorenfilm und Gunther Witte standen für eine Zeit, in der die individuelle und mutige Erzählung auch gegen den Zeitgeist und jenseits vom Massengeschmack zum Ausdruck einer Generation wurde.

Es ist wieder höchste Zeit für eine neue, von AutorInnen und ihrer Individualität geprägte sowie von neugierigen und offenen Redakteuren und Produzenten geförderte Fiktion, um das müde gewordene Fernsehen zu beleben.

In diesem Sinne, weiter so!!

Peter Henning, VDD-Vorstand